Der Dorfabwart von S-charl

Dominique Mayor

Gasthaus Mayor in S-charl im Unterengadin
Es ist 05.30 Uhr in S-charl und die Sonne versteckt sich noch hinter dem Piz Sesvenna. In dieser morgendlichen Stille steht ein Mann im Keller des Gasthauses Mayor und wirft Holzscheitel in die Heizung. «Die Gäste möchten es beim Frühstück angenehm warm haben», sagt er, während er zur Küche läuft, um frisches Brot und Gipfeli vorzubereiten. Dieser Mann ist Dominique Mayor, Inhaber und Leiter des Gasthauses Mayor. Er und seine Partnerin Anita sind die einzigen Ganzjahres-Einwohner von S-charl.

Schritt für Schritt zum Ganzjahresbetrieb

Kurz vor 07.00 Uhr bereitet Dominique das Frühstücksbuffet vor. Er ist 55 Jahre alt und gelernter Koch. Seine Kindheit verbrachte er mit seiner Familie in S-charl. 1972 eröffnete sein Vater das Gasthaus Mayor, welches Dominique 2006 übernahm. Anfänglich war das Gasthaus nur im Sommer in Betrieb. Doch stetig stieg die Nachfrage, bereits an Ostern zu öffnen, damit Skitourenfans die Bergwelt rund um S-charl erkunden können. Seitdem öffnete das Gasthaus immer früher seine Türen, bis es schliesslich zum Ganzjahresbetrieb wurde.

Überall tätig

Dominique ist nicht nur in der Küche oder an der Rezeption anzutreffen. Nachdem er das Frühstück vorbereitet hat, nimmt er seinen Hund Aiko an die Leine und spaziert die Strasse hinunter. Er ist auch beim WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) tätig. «Das bin ich, seit ich das ganze Jahr wieder in S-charl wohne. So kann ich die ganze Lage vor Ort den Kollegeninnen und Kollegen im Tal schildern.» Dominique war früher im Rettungswesen im Einsatz. Durch die stetige Arbeit mit Hunden entstand die Liebe für die Vierbeiner. Ausserdem ist Dominique im Scuoler Krisenstab vertreten, als Feuerwehrmann vor Ort sowie zuständig für die Kläranlage und Strassenräumung bei Schneefällen. Langweilig wird es dem zweifachen Familienvater nicht.

Über Stock, Stein und ganz viel Schnee

Eine Kutsche kommt mit neuen Gästen im Dorf an. Die Strasse, die von S-charl ins Unterengadin führt, ist im Winter für den motorisierten Verkehr geschlossen. Wie schafft es Dominique dabei wöchentlich Lebensmittel für seine Gäste zu holen? Seine Lieferanten deponieren einen Stapel Lebensmittel bei der Barriere an der Wintersperre bei «Valang Zondrus». Diese packt Dominique in seinen Pick-Up und bei Sasstaglià wiederum auf seinen Quad. Damit kann er auch auf der schneebedeckten Strasse nach S-charl fahren. «Es ist ein langer Weg», erklärt Dominique. «Deswegen ist eine gute Organisation das A und O, da man nicht kurz in einen Laden gehen kann, wenn etwas fehlt.»

Das Beste aus ungünstigen Situationen machen

Um 11.00 Uhr ist der gelernte Koch wieder in der Küche und bereitet das Mittagessen zu. Da er im Winter von einem weiteren Koch unterstützt wird, hat er Zeit, sich etwas mit seinen Gästen zu unterhalten. Häufig kämen diese nach Unglückssituationen wieder nach S-charl. «Sie fragen mich: Wissen Sie noch als ich hier war, war die Strasse einige Tage geschlossen und wir mussten im Speisesaal übernachten.» Das erfüllt Dominique mit Stolz. «Es heisst, ich konnte aus einer ungünstigen Situation das Beste machen und dem Gast doch noch einen schönen Aufenthalt bieten.»

Die Strasse in S-charl wird oft von Erdrutschen oder Lawinen heimgesucht. Doch der bestens organisierte Dominique ist für solche Situationen ausgerüstet. Er hat sich einen kleinen Stromgenerator sowie einen Campingkocher zugelegt. «Damit kann ich etwas Einfaches aber Schmackhaftes für die Gäste zubereiten.» Dominique denkt automatisch immer als erstes an das Wohl seiner Gäste.

Dominique Mayor.

Durch S-charl patrouillieren

Nachdem die Gäste gespeist haben, nimmt Dominique Aiko wieder an die Leine und startet eine seiner unzähligen Tätigkeiten. Im Winter ist er der einzige Bewohner von S-charl. Deswegen vertrauen die Dorfbewohner Dominique, der sich selber «den Abwart des Dorfes» nennt, ihre Hausschlüssel an. «Die Hausbesitzer sind meistens nur im Sommer hier. Im Winter bitten sie mich, ab und zu vorbei zu gehen und zu kontrollieren, ob alles in Ordnung sei.» Deswegen spaziert Dominique durch das Dorf und schaut zum Beispiel, ob der Schneefall nicht die Häuser beschädigt hat.

A revair bis morgen

Nach dem Abendessen fahren die letzten Gäste mit der Kutsche zurück nach Scuol. Dominique hilft beim Abräumen. Draussen ist es unglaublich ruhig. Keine Autos, keine Bars, keine Menschenseele. Da stellt sich die Frage: Wie war es, als Kind in einer solch ruhigen Gegend aufzuwachsen? «Es war nicht so schlimm, wie es scheint», sagt Dominique lächelnd. Das Dorf war im Sommer durch die Gäste sehr belebt. «Wir spielten Fussball mit den Kindern der Gäste», erinnert er sich. Im Winter ist die Familie nach Scuol gezogen, da das Gasthaus damals nicht geöffnet hatte. Der Vater von Dominique führte zu jener Zeit noch ein Restaurant auf Motta Naluns. Dominique macht sich bereit für die Nacht und stellt seinen Wecker für den nächsten Tag, denn dann heisst es wieder um 05.30 Uhr aufstehen. Somit endet der Tag des Abwarts von S-charl.