Randulins

Von Schwalben und Auswanderern

Las Randulinas - die Schwalben im Engadin. Bild: Stephanie Michler.
Die Schwalbe ist quasi das Nationaltier der Engadiner und bestimmt seit Jahrhunderten Leben und Geschicke der Dörfer und Menschen im Hochtal. Grund genug also, deren Geschichte aufzurollen. Und wer könnte da besser Bescheid geben als eine Schwalbe selbst. Deshalb führt uns «Randunella» durch ihre Geschichte und die der Auswanderer.
Schwalben, auf Rätoromanisch Randulinas. Bild: Heinz Ruesch.

Schwalben im Engadin

«Die Schwalben, das sind wir», sagt Randunella, «die Akrobaten der Lüfte», fügt sie an. «Ich bin eine Mehlschwalbe, den Winter verbringen wir in Afrika, südlich der Sahara. Jeweils zwischen Ende April bis Mitte Mai kehren wir ins Engadin zurück, in die restliche Schweiz natürlich auch. Dort bauen wir entweder ein neues Nest an die Hausfassade, am liebsten gleich unter dem Dach, ziehen wieder in das vom letzten Jahr ein oder richten das Kunstnest wohnlich ein, welches einige Engadiner für uns montiert haben. Neben uns gibt es noch die grauen Felsenschwalben, welche jeweils als erste aus dem Süden zurückkehren und die Rauchschwalben, die man gut am gegabelten Schwanz erkennt und daran, dass sie ihre Nester in alten Ställen bauen.» 

Die Schwalben seien aber auch Menschen, erklärt dann Randunella noch. «So hiessen die Engadiner Auswanderer der letzten Jahrhunderte. Schwalben darum, weil sie immer das Heimweh plagte und sie deshalb jeden Sommer ins Engadin zurückkehrten. So wie wir.» 

Eine Nusstorte der Bäckerei Konditorei Giacometti in Lavin.

Warum gerade Zuckerbäcker?

«Ich hab’s eher nicht so mit dem Süssen. Meine Vorlieben gelten ganz klar den kleinen, knackigen Mücken und Fliegen, sofern ich noch welche finde. So einfach ist das nicht mehr, weil es immer weniger gibt… Also von uns haben die Zuckerbäcker ihre Fertigkeiten nicht. Tatsächlich sind damals keine Handwerker ausgewandert, sondern vor allem Bauern. Denn die Handwerker hatten ja Arbeit und Auskommen, die Bauern nur Arbeit aber kaum Verdienst. Bauern konnten sie wohl, nur hilft das wenig in einer Stadt. Gut also, dass sie von ihren Müttern lernten, wie man Süssigkeiten und Gebäck herstellt, so jedenfalls hat mir das eine alte Frau erzählt. Deshalb heuerten sie als erstes bei Bäckereien an, waren aber so erfolgreich, dass sie die einen Bäckereien gleich selber übernahmen und andere eröffneten. Die Venezier konnten mit diesem Erfolg nicht umgehen und vertrieben gleich alle Bündner aus der Stadt.» 

Der Zuckerbäcker Peder Benderer.

Wie die Nusstorte ins Engadin kam

«Auch die Nusstorte ist mir zu süss, ihre Geschichte kenn’ ich trotzdem, denn letzthin bin ich am Hause von Gaudenz Zimmermann vorbeigeflogen und da hab ich sie gehört. Dass diese Torte keine Engadiner Erfindung sein kann, habe ich mir gedacht. Ich jedenfalls habe im Engadin noch nie Baumnüsse gesehen, Haselnüsse schon. Frankreich aber ist bekannt für seine Nüsse, das weiss ich von meinen Überflügen: Nicht nur in Grenoble stehen die Bäume dicht an dicht, sondern auch im Périgord in der Nähe von Toulouse. Und aus Toulouse kommt die Nusstorte aus der Konditorei Heinz + Tester. Seit 1881 stellten die beiden Bündner die Spezialität her. Der Boden eigentlich eine Fuatscha grassa, die Füllung aus Caramel, Nüssen und Rahm eher Französisch, der Deckel wieder Engadin weil Fuatscha Grassa. Ihr Angestellter Fausto Pult aus dem Engadin, brachte das Rezept heim nach Samedan, von wo sie dann ihren Siegeszug antrat.» 

Italienisches Flair im Engadin. Der Dorfplatz in Lavin.

Architektur

«Wir prägen die Dorfbilder des Engadins und die menschlichen Schwalben auch.  

Wenn immer möglich kleben wir unsere Nester an die Hausfassaden und füttern danach unter lautem Geschrei und möglichst vielen tollkühnen Flugmanövern unsere Jungen darin. Wenn’s gut läuft können wir in einem Sommer sogar zwei Bruten aufziehen. 

Der Einfluss der anderen Schwalben war vor allem früher gross und in den Dörfern, die abgebrannt sind, Sent und Lavin beispielsweise. Denn nicht wenige der ausgewanderten Zuckerbäcker haben es zu Reichtum und Wohlstand gebracht, waren aber dank der Engadiner Volkskrankheit Heimweh («increschantüm») immer noch stark mit ihrer Heimat verbunden. Deshalb zögerten sie nach den Brandkatastrophen keine Sekunde und schickten Geld für den Wiederaufbau ins Engadin, samt ihren Lieblingsbaumeistern. Gut, die einen haben sich dabei auch gleich ein Denkmal gesetzt und den anderen ihren wirtschaftlichen Erfolg etwas demonstrativ unter die Nase gerieben. 

Der Verein Randulins in Lavin. Bild: Heinz Ruesch.

Randulinsverein

«Wir Schwalben sind auch etwas Gewohnheitstiere. Wenn möglich, kehren wir jedes Jahr wieder zu unserem letzten Nest zurück. Wie ich höre, sind uns da die Menschen sehr ähnlich, ausser dass sie einen viel kürzeren Reiseweg haben und es deshalb auch viel einfacher ist, das Haus wieder zu finden. Die Menschen sind nicht nur Gewohnheitstiere, sondern auch gesellig, weshalb sie in Sent gar einen Verein der Randulins gegründet haben. Mitglied darf nur werden, wessen Vorfahren ausgewandert sind oder wer ein besonders grosses Interesse an der Geschichte der Randulins belegen kann. Ziel des Vereins ist es, die Geselligkeit zu fördern und sich für die Randulins einzusetzen, ihnen bei Erbsachen oder Häuserkaufen oder -verkäufen zu helfen oder sich um Friedhofsanliegen zu kümmern. 

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